Nachdem sich „Im Labyrinth des Schweigens“ – deutscher Kandidat für den „Fremdsprachen-Oscar“ 2016 – bereits im vergangenen Herbst mit der mangelnden Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen in der jungen Bundesrepublik beschäftigte, folgt mit „Der Staat gegen Fritz Bauer“ nun der zweite Film über den reaktionären Mief in Nachkriegsdeutschland. Anders als in Giulio Riccarellis gelungener Betrachtung der Vorbereitung der Auschwitz-Prozesse, mit einem fiktiven jungen Staatsanwalt in der Haupt- und Fritz Bauer als Nebenrolle, konzentriert sich Regiekollege Lars Kraume auf den damaligen hessischen Generalstaatsanwalt selbst und dessen aktive Rolle bei der Entdeckung und Ergreifung von Adolf Eichmann.

Trotz einer von Bauers tatsächlichem Tod inspirierten, aber inhaltlich relativ überflüssigen und zudem erfundenen Anfangsszene, wird der Zuschauer relativ schnell in die Geschichte und das Zeitkolorit hineingezogen. Schnell wird deutlich, wie stark die Exekutive und Judikative der Bundesrepublik in den 1950er Jahren noch von Nationalsozialisten durchsetzt und beeinflusst war und gegen welche Widerstände Fritz Bauer bei seiner Arbeit anzukämpfen hatte. Immer wieder bekommt er im Laufe des Filmes Drohbriefe, mehrfach versuchen das BKA und der BND ihn einzuschüchtern oder seine Ermittlungen aktiv zu behindern.

Verkörpert wird Fritz Bauer dabei brilliant von Burghart Klaußner, der in seiner Rolle kaum wieder zuerkennen ist. Neben der authentischen Frisur und dem passenden Kleidungsstil hat Klaußner, der kürzlich noch in „Elser“ einen Nazi-Bonzen spielte, sich auch perfekt Bauers Akzent, eine Mischung aus Schwäbisch und Hessisch, angeeignet. Dabei verfällt er jedoch nicht in eine bloße Imitation, sondern interpretiert Bauer vielmehr mit Charisma und Eloquenz als facettenreiche Figur.

AngermannBauer

Angesichts des bewussten Wegschauens und Vertuschens durch den bundesdeutschen Sicherheitsapparat findet Bauer im Verlauf des Filmes bei seinen Ermittlungen nur in zwei Personen Vertrauen: dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn und seinem – erfundenen – Mitarbeiter Karl Angermann, einfühlsam gespielt von Ronald Zehrfeld. Angermann, entstanden als verdichtete Personifizierung mehrerer Protégés Bauers, dient dabei auch als Ventil für den zweiten Schwerpunkt des Filmes: Dem Paragraphen 175, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts noch bis 1994 unter Strafe stellte. Ein Gesetz, das auch den Homosexuellen Fritz Bauer direkt in seiner Existenz bedrohte, denn, wie es einer seiner Gegenspieler ausdrückt, „auch ein Mönch muss mal bumsen“.

Die zeitweise etwas zu viel Raum einnehmende Nebenhandlung erweckt zwar fälschlicherweise den Eindruck, dass das Gesetz erst von den Nationalsozialisten eingeführt wurde – diese verschärften vielmehr die Strafen, während die generelle Strafbarkeit homosexueller Handlungen bereits 1872 im Deutschen Kaiserreich eingeführt wurde – schafft es aber trotzdem die Repressalien anzuprangern, denen Homosexuelle in der Bundesrepublik auch nach Ende der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt waren.

RauchenBauer

Der Hauptfokus von „Der Staat gegen Fritz Bauer“ liegt jedoch auf der Jagd nach Adolf Eichmann und den unbändigen Wunsch Bauers, den SS-Obersturmbannführer vor ein deutsches Gericht zu stellen. Spannend und kurzweilig inszeniert und immer wieder durch humorvolle Dialogpassagen aufgelockert, zeigen Kraume und sein Co-Autor Olivier Guez dabei auch die übergeordneten politischen Zusammenhänge, Interessen und Folgen einer Ergreifung und Anklage Eichmanns auf, welche sich vor allem in der Person Hans Globkes verdichteten: Damaliger Kanzleramtschef unter Konrad Adenauer, unter NS-Flagge jedoch Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze – und mitverantwortlich für die Verschärfung des Paragraphen 175. Da Eichmann von diversen Seiten protegiert und geschützt wurde, tat Fritz Bauer das damals Undenkbare: Er kontaktierte heimlich den Mossad und gab dem israelischen Geheimdienst entscheidende Hinweise zur Ergreifung Eichmanns. Darauf stand damals eigentlich Landesverrat, ein Tatbestand, der leider so aktuell wie eh und je ist, verbunden mit der Frage, was eigentlich den wahren Schutz der demokratischen Ordnung Deutschlands ausmacht – und worauf nationaler Stolz wirklich beruhen sollte.

Insgesamt ist „Der Staat gegen Fritz Bauer“ – getragen von der exzellenten und facettenreichen Interpretation Klaußners – ein filmisch zwar konventionelles und teilweise etwas biederes, aber doch gelungenes und kurzweiliges Portrait eines mutigen, inspirierenden und progressiven Humanisten. Kraumes Film liefert den Prolog zu „Im Labyrinth des Schweigens“ und setzt dem lange verschmähten Fritz Bauer ein Denkmal, ohne ihn dabei zu glorifizieren und ohne kritische Fragen oder Perspektiven auszulassen. Er erinnert erneut daran, dass auch Deutschland (mindestens) gut zwanzig Jahre brauchte um seine NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Zugleich nehmen Regisseur und Drehbuchautor sich jedoch auch so manche künstlerisch-historische Freiheit und Interpretation heraus, welche eine an den Film anschließende, vertiefende Auseinandersetzung mit der Person und dem Wirken Fritz Bauers empfehlenswert machen.

Kinostart: 1. Oktober 2015
Festivals: Locarno 2015 (Gewinner des Publikumspreises), Toronto 2015, London 2015